Slash-Karriere, Führungsposition in Teilzeit, Sidepreneurship… erfolgreiche Karrieren haben viele Gesichter. Job-/Topsharing ist ein spannender Ansatz, um die eigene Karriere erfüllend zu gestalten. Welche Vorteile Job-/Topsharing für Unternehmen und Mitarbeitende bietet, erläutern Karin Ricklin und Stephanie Briner, Co-Leiterinnen von WEshare1, im Interview.
Interview: Claudia Scherrer
Kontakt und weitere Informationen: info@weshare1.com

Woran erkennt man gut funktionierende Job-Tandems?
Karin: Etwas, das sich relativ einfach beobachten lässt, ist der Redeanteil. Würde ich zum Beispiel in diesem Interview 90% der Fragen beantworten, wäre das kein gutes Zeichen. In einem Job- oder Topsharing müssen beide bereit sein, sich jeweils abwechselnd die «Bühne» zu überlassen. Damit einher geht auch, sowohl Erfolg wie auch Misserfolg gemeinsam zu tragen. Konkurrenzdenken ist bei diesem Modell fehl am Platz.
Stephanie: Ein gut funktionierendes Tandem führt eine vertrauensbasierte Zusammenarbeit, welche auf einem gleichen Werteverständnis basiert. Wichtige Entscheide werden zusammen getroffen. Das gemeinsame Werteverständnis ermöglicht es, handlungsfähig zu sein, auch bei Abwesenheit des Pendants.
Welche Vorteile bietet Top-/Jobsharing für Unternehmen?
Stephanie: Die Wettbewerbsfähigkeit und der Imagegewinn steigen, was im Kontext des Fachkräftemangels vorteilhaft ist. Ausserdem wird die Diversität erhöht, da zwei Personen mehr Erfahrung und Kompetenzen für eine Stelle mitbringen als eine Person alleine. Job- und Topsharing ermöglichen des Weiteren eine bessere Entscheidungsfindung und eine leichtere Vertretung bei Ferien oder Krankheit.
Dank Topsharing gelingt es besser, qualifizierte Mitarbeitende zu gewinnen sowie Talente im Unternehmen zu halten. Für KMU besonders spannend; das Know-how bleibt in der Firma, auch wenn eine Person ausfällt. Nicht zu vernachlässigen ist der gesundheitliche Aspekt: geteilte Verantwortung entlastet.
Dank Topsharing gelingt es Unternehmen besser, qualifizierte Mitarbeitende zu gewinnen und Talente im Unternehmen zu halten.
Was sind Nachteile für Unternehmen?
Karin: Die Rekrutierung eines Tandems ist komplexer, verglichen mit einer Einzelperson. Die Initialkosten sind höher und die Einarbeitungszeit fällt intensiver aus.
Wie sieht das Ganze aus Sicht der Mitarbeitenden aus?
Stephanie: Der Beruf lässt sich durch Job- und Topsharing mit dem Privatleben (z. B. Familie, Weiterbildung oder Hobby) besser vereinbaren. Das Modell bietet auch die Grundlage für eine Slash-Karriere: Arbeitnehmende üben mehrere Jobs nebeneinander aus. Insbesondere Topsharing bietet einen Lösungsansatz gegen den Karrierekiller «Teilzeitarbeit». Ausserdem haben Topsharende eine grössere Stellenauswahl, weil sich die Suche nicht mehr nur auf Teilzeit-, sondern auch auf Vollzeitstellen bezieht. Bei der Tandemarbeit sind unter anderem die gegenseitige Unterstützung und vor allem auch das Lernen voneinander ein Plus.
Karin: Die Einarbeitungszeit ist wie bereits erwähnt intensiv: Die Tandempartner:innen müssen einander kennenlernen, die jeweilige Arbeits- und Funktionsweise des anderen verstehen und definieren, welche Tools sich am besten für ihren Austausch eignen. Der Aufwand ist grösser, als wenn man allein eine neue Stelle antritt. Oft herrscht auch ein Erfolgsdruck: Viele Topsharende haben eine Pionierrolle und werden daher besonders kritisch beobachtet und beurteilt.
Der Beruf lässt sich durch Job- und Topsharing mit dem Privatleben (z. B. Familie, Weiterbildung oder Hobby) besser vereinbaren. Das Modell bietet auch die Grundlage für eine Slash-Karriere: Arbeitnehmende üben mehrere Jobs nebeneinander aus.
Welche Personen bzw. Unternehmen sind dafür geeignet, welche nicht?
Stephanie: Wollen und Können sind zentral. Offenheit und Toleranz gegenüber der anderen Person ganz generell, aber z. B. auch gegenüber einem anderen Arbeitsstil, das muss man wollen. Ebenso gilt es, Transparenz innerhalb des Tandems zu leben. Fundamental ist zudem, dass das «Wir» immer vor dem «Ich» steht. Damit verbunden ist auch, Vertrauen stärker zu gewichten als Kontrolle. Zu den grundlegenden Kompetenzen gehören Kommunikations- und Organisationstalent sowie Flexibilität und Selbstreflexion.
Karin: Wie die vielen Beispiele in unserem Blog zeigen: Jobsharing funktioniert in KMU gleichermassen wie in Grossunternehmen sowie in unterschiedlichen Branchen.
Karin, was hat dich persönlich dazu bewogen, WEshare1 zu gründen?
Karin: Im beruflichen wie auch im privaten Umfeld habe ich immer wieder erlebt, dass Personen zwar über viel Potential verfügten, dies aber nicht entfalten konnten, da ein vollzeitnahes Pensum zwingende Voraussetzung dafür gewesen wäre. Entweder liessen die aktuellen Lebensumstände kein vollzeitnahes Pensum zu, oder es bestand aufgrund unterschiedlicher Gründe der Wunsch, in einem reduzierten Pensum zu arbeiten. Davon betroffen waren zum Beispiel wiedereinsteigende Mütter bzw. Eltern generell, Personen mit Beeinträchtigungen, Menschen mit Alter 50plus oder Berufseinsteigende. Auch ich selbst erlebte, wie schwierig es sein kann, nach der Mutterschaft in Teilzeit eine verantwortungsvolle Stelle zu finden. Dies kann man monieren und sich an der Situation aufreiben. Spannender finde ich jedoch den Blick nach vorne: Wie lassen sich diese Herausforderungen meistern? Job- und Topsharing sehe ich als grossartige Möglichkeit, kreativ auf diese Herausforderungen zu reagieren und einen Mehrwert sowohl für Arbeitnehmende als auch Arbeitgebende zu bieten.
Auch ich selbst erlebte, wie schwierig es sein kann, nach der Mutterschaft in Teilzeit eine verantwortungsvolle Stelle zu finden. Dies kann man monieren und sich an der Situation aufreiben. Spannender finde ich jedoch den Blick nach vorne: Wie lassen sich diese Herausforderungen meistern? Job- und Topsharing sehe ich als grossartige Möglichkeit, kreativ auf diese Herausforderungen zu reagieren und einen Mehrwert sowohl für Arbeitnehmende als auch Arbeitgebende zu bieten.
Gab es Herausforderungen oder Rückschläge? Wenn ja, wie bist du damit umgegangen?
Karin: Zu Beginn waren es ganz banale Dinge, die herausfordernd waren; z. B. wie erstelle ich eine neue Homepage? Wie schreibe ich einen Blog? Da ich sehr gerne Neues dazu lerne und mich auch nicht scheue, bei Fragen auf andere zuzugehen und sie um Hilfe zu bitten, liessen sich die Herausforderungen jeweils gut meistern. Ab und zu habe ich herzhaft geflucht, wenn technisch wieder mal etwas nicht geklappt hat, aber auch das gehört dazu (lacht). Hinzu kommt noch etwas Weiteres, Entscheidendes; WEshare1 wäre heute nicht da, wo es jetzt ist ohne die zahlreichen Unterstützer:innen und Begleiter:innen. Sei dies mein Partner, der mit mir Topsharing at home lebt, die WEshare1 Botschafter:innen, der Verein PTO, generell mein privates und berufliches Netzwerk und insbesondere auch Stephanie, die WEshare1 seit Janaur 2021 gemeinsam mit mir führt. Ich könnte mir WEshare1 ohne sie nicht mehr vorstellen.
Stephanie, was hat dich dazu bewogen, als Co-Leiterin bei WEshare1 einzusteigen?
Stephanie: Ich bin in meiner täglichen Arbeit stark mit Arbeitsmarktfragen konfrontiert. Sei dies die Geschlechterverteilung auf GL-Stufe, Fragen zu Vereinbarkeit von Führungsposition und Familienarbeit, Fachkräftemangel oder Profildefinitionen für offene Stellen, die so breit gefasst sind, dass eine Person diese alleine gar nicht erfüllen kann. So konnte ich in den letzten Jahren die Rekrutierung verschiedener Co-Leitungen begleiten. Die dabei erfahrene positive Resonanz ist eine grosse Motivation für mich, diese Erfahrung und das Wissen über die Rekrutierung im Topsharing zu teilen und viele Unternehmen und Arbeitnehmende zu inspirieren, dieses Arbeitsmodell auszuprobieren. Gleichzeitig verspürte ich grosse Lust, nicht nur andere auf dem Weg in die Co-Leitung zu begleiten, sondern auch selbst im Topsharing tätig zu sein und eigene Erfahrung zu sammeln. Kurz gesagt: walk the talk.
Neben eurer Rolle bei WEshare1 geht ihr beide noch einer weiteren Erwerbstätigkeit nach, verfolgt somit eine Slash Karriere. Das Thema habt Ihr kürzlich auch in einem eurer Newsletter aufgegriffen. Was sind aus eurer Sicht die Vorteile von zwei parallelen Karrieren?
Karin: Zum einen sind die Bereiche bei mir sehr nahe beieinander; im HR habe ich oft Themen, die auch im Job- und Topsharing von Relevanz sind. So kann ich z.B. gut nachvollziehen, welche Herausforderungen im Rekrutierungsprozess oder in der Implementierung dieses Arbeitsmodells im Unternehmen anstehen, da ich selbst ja quasi «mittendrin» bin bzw. in diesen Feldern schon einiges an Erfahrung gesammelt habe. Andererseits erlebe ich den ähnlichen Effekt wie beim Wechsel zwischen Beruf und Familie: eine Situation im beruflichen Kontext kann unlösbar oder sehr belastend erscheinen. Bin ich dann jedoch gezwungen, den Kontext zu wechseln, schafft dies automatisch eine Distanz. Dies wirkt nicht nur entlastend, sondern bietet auch Raum für neue, kreative Lösungsansätze.
Stephanie: Ich erlebe das “Nebeneinander” verschiedener Tätigkeiten ebenfalls als gegenseitige Bereicherung und Inspirationsquelle. Thematisch, aber auch in Bezug auf das Netzwerk.
Ich erlebe das “Nebeneinander” verschiedener Tätigkeiten als gegenseitige Bereicherung und Inspirationsquelle. Thematisch, aber auch in Bezug auf das Netzwerk.
Was ist eure Vision für die Arbeitswelt der Zukunft?
Stephanie: Unsere Vision ist, dass Menschen ihr Potential entfalten können, und zwar in jeder Lebenslage. Seien dies wiedereinsteigenden Mütter bzw. Eltern generell, Personen mit Beeinträchtigungen, Menschen mit Alter 50plus oder Berufseinsteigende. Job- und Topsharing kann hierzu einen wichtigen Beitrag leisten.
Karin: Ebenso bietet dieses Arbeitsmodell die Möglichkeit der erwähnten Slash Karriere – aus unserer Sicht ein Modell, welches in Zukunft an Bedeutung gewinnen wird. Auch für aktuelle Herausforderungen wie Überlastung, Sinnsuche und ganz generell den nachhaltigen Umgang mit Ressourcen können Job- und Topsharing spannende Lösungsansätze darstellen. Dies alles sind Themen, die uns künftig noch stärker beschäftigen werden. Mit WEshare1 möchten wir einen Beitrag zur Lösung dieser Herausforderungen leisten.
Vielen Dank, liebe Karin und Stephanie, für das inspirierende Gespräch. Ich wünsche euch weiterhin viel Erfolg und alles Gute.